Gute Nachrichten für Arbeitnehmer – insbesondere für Fahrradlieferanten
Diverse Lieferdienste waren und sind gefragter denn je. Nunmehr hatte sich die 14. Berufungskammer des Hessischen Landesarbeitsgerichtes im Urteil vom 19. Februar 2021 – 14 Sa 306/20 2021 – mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Lieferdienst seinem Arbeitnehmer ein Fahrrad und Smartphone zur Verfügung stellen muss. Dies hat es in dem konkreten zu entscheidenden Fall bejaht.
Was war passiert
Die Parteien stritten u.a. darum, ob die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon mit einem Datennutzungsvertrag zur Verfügung stellen muss(te).
Der Arbeitnehmer ist bei der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit Mitte Dezember 2016 als Fahrradlieferant beschäftigt und liefert als solcher Speisen und Getränke aus. Sowohl die Einsatzpläne als auch die Adressen der Restaurants wie auch die Kundenadressen wurden per App mitgeteilt. Der Arbeitnehmer nutzt(e) für seine Tätigkeit sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobiltelefon. Dies wollte der Arbeitnehmer zukünftig nicht mehr akzeptieren und reichte Klage beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main ein.
Entscheidung des Arbeitsgerichtes Frankfurt am Main
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main gab der Arbeitgeberin Recht und wies die Klage mit Urteil vom 29. Januar 2020 – 2 Ca 5722/19 – ab. Es ging davon aus, dass die Parteien sich zumindest konkludent – dies bedeutet durch schlüssiges Verhalten – dahingehend verständigt hätten, dass der Arbeitnehmer die Betriebsmittel in Form eines Fahrrads und eines Mobiltelefons selbst und auf eigene Kosten stellen müsse. Hierbei hat es u.a. darauf abgestellt, dass der Arbeitnehmer in der Vergangenheit seine Aufträge unter Nutzung seines eigenen Fahrrads und seines eigenen Smartphones ausgeführt hat. Dies sei auch grundsätzlich in den Grenzen des § 138 BGB – also so lange hiermit nicht gegen die guten Sitten verstoßen würde – zulässig.
Der Arbeitnehmer gab sich hiermit nicht zufrieden und hat form- und fristgerecht Berufung durch einen Anwalt einlegen lassen.
Wesentliche Argumentation des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer meinte, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht von einer konkludenten Vereinbarung zwischen ihm und der Arbeitgeberin über die Nutzung seines eigenen Fahrrads und seines eigenen Smartphones ausgegangen sei. Auch aus etwaigen schriftlichen (arbeitsvertraglichen) Vereinbarungen ergebe sich nichts anderes. Diese sein jedenfalls unwirksam, da sie ihn unangemessenen benachteiligen würden, weil sie von der Grundregel, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die zur Ausführung der Tätigkeit notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen müsse, in unzulässiger Art und Weise abweiche.
Wesentliche Argumentation der Arbeitgeberin
Die Arbeitgeberin meinte, dass es das gemeinsame Verständnis der Parteien gewesen sei, dass der Arbeitnehmer sein privates Fahrrad und sein privates Smartphone zur Erbringung der Arbeitsleistung nutzte. Eine entsprechende Verpflichtung des Arbeitnehmers ergebe sich außerdem auch klar aus dem Arbeitsvertrag. Die entsprechende Klausel des Arbeitsvertrages sei wirksam und würde den Arbeitnehmer auch nicht unangemessenen benachteiligen.
Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichtes
Die 14. Berufungskammer des Hessischen Landesarbeitsgerichtes gab dem Arbeitnehmer mit Urteil vom 19. Februar 2021 – 14 Sa 306/20 2021 – Recht. Die Arbeitgeberin wurde dazu verurteilt, dem Arbeitnehmer zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant ein internetfähiges Mobilfunkgerät mit einem Datennutzungsvertrag mit 2 GB Datenvolumen monatlich sowie zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung zu stellen.
Den entsprechenden Anspruch des Arbeitnehmers stütze das Hessische Landesarbeitsgericht auf §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag. Es hielt in seinem Urteil unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes u.a. fest, dass Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern die für die Erbringung der Arbeitsleistung notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung zu stellen haben. Dies ergebe sich aus §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB. Aus § 611a BGB folge, dass Arbeitnehmer ausschließlich die vereinbarte Arbeitsleistung, nicht aber die Stellung der hierfür erforderlichen Arbeitsmittel schulden würden. § 615 S. 3 BGB liege die Wertung zugrunde, dass Arbeitgeber das Betriebsrisiko, also das Risiko, dass die Arbeitsleistung aus in der betrieblichen Sphäre liegenden Gründen nicht erbracht werden könne zu tragen habe. Außerdem läge § 618 BGB die Prämisse zugrunde, dass der Dienstberechtigte die Vorrichtungen und Gerätschaften zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen habe.
Auch im konkreten Fall würde der klagende Arbeitnehmer für die Erfüllung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung als Fahrradlieferant zwingend ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon mit Datennutzungsvertrag benötigen.
Die gesetzliche(n) Regelung(en), wonach der Arbeitgeber die notwendigen Betriebsmittel zu stellen habe, sei zwischen den Parteien nicht wirksam abbedungen worden. Dies sei zwar grundsätzlich zulässig, jedoch zwischen den Parteien im konkreten Fall nicht wirksam erfolgt.
Die 14. Berufungskammer des Hessischen Landesarbeitsgerichtes kam zu dem Ergebnis, dass die vertraglichen Bestimmungen bezogen auf die nicht gesondert vergütete Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Nutzung seines eigenen Mobiltelefons mit eigenem Datennutzungsvertrag als auch bezogen auf die ausgleichsfreie Verpflichtung zur Nutzung seines eigenen Fahrrades, von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB abweichen und somit nichtig sein. Der Grundgedanke der zuvor genannten Vorschriften bestehe darin, dass der Arbeitnehmer lediglich die Erbringung seiner Arbeitsleistung schulde und hierfür vergütet werden würde, während die Stellung der Betriebsmittel und die hiermit verbundene Kostentragung vom Arbeitgeber zu leisten sein und dieser das Risiko zu tragen habe, dass die Arbeitsleistung mangels funktionsfähiger Betriebsmittel nicht erbracht werden könnten. Nur das, was zur selbstverständlichen Einsatzpflicht des Arbeitnehmers bei der Arbeit gehöre, werde durch die Vergütungszahlung ausgeglichen.
Dem Arbeitnehmer stehe nach Auffassung der Kammer sogar ein einklagbarer Anspruch auf Überlassung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Mobiltelefons mit entsprechendem Datennutzungsvertrag zu. Der Arbeitnehmer müsse sich also nicht darauf verwiesen lassen, dass die Arbeitgeberin ggf. dem Arbeitnehmer hierfür entstandene Kosten im Rahmen des Annnahmeverzugslohn zu erstatten habe. Dies folge als Annex aus dem Anspruch vom Arbeitnehmern im bestehenden Arbeitsverhältnis auf tatsächliche Beschäftigung.
Ausblick:
Das Urteil ist – soweit ersichtlich – noch nicht rechtskräftig. Die 14. Berufungskammer des Hessischen Landesarbeitsgerichtes hat die Revision zugelassen, weil die Frage, ob ein Arbeitnehmer einen klagbaren Anspruch auf Überlassung von für die Erbringung seiner Arbeitsleistung erforderlichen Arbeitsmitteln hat oder auf die Möglichkeit verwiesen werden kann, Annnahmeverzugslohn einzuklagen, soweit erkennbar, noch nicht höchstrichterlich entschieden sei.
Fazit:
Der dargestellte Fall zeigt, dass Arbeitgeber grundsätzlich ihren Arbeitnehmern die für die Erbringung der Arbeitsleistung notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung zu stellen haben. Abweichungen hiervon sind zwar grundsätzlich zulässig, jedoch stets im konkreten Einzelfall zu prüfen. Hieran werden außerdem auch zu Recht hohe Anforderungen gestellt.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie das Bundesarbeitsgericht den Fall würdigen würde. Ob das Bundesarbeitsgericht auch von einem einklagbarer Anspruch auf Überlassung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Mobiltelefons mit entsprechendem Datennutzungsvertrag ausgehen würde, bleibt abzuwarten.
Zu beachten ist natürlich, dass es Sachen gibt, die zur selbstverständlichen Einsatzpflicht der Arbeitnehmer – wie beispielsweise die Privatkleidung – gehören und die Arbeitgeber grundsätzlich weder zur Verfügung stellen müssen noch zusätzliche Zahlungen hierfür leisten müssen, da diese bereits durch die Vergütungszahlung ausgeglichen werden. Ob es sich um Sachen handelt, die zur selbstverständlichen Einsatzpflicht der Arbeitnehmer zählen oder nicht, ist von Beruf zu Beruf sehr unterschiedlich und auch daher eine Frage des jeweiligen konkreten Einzelfalles.
Sofern es im Arbeitsrechtsverhältnis zu Unstimmigkeiten – zum Beispiel im Zusammenhang mit den Kosten der Nutzung privater Sachen für die Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung – kommt, empfiehlt es sich, sich sowohl als Arbeitgeber, als auch als Arbeitnehmer von einem spezialisierten Rechtsanwalt beraten und erforderlichenfalls vertreten zu lassen.