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Freie Fahrt für Freie Bürger ./. Blackbox Blitzer – 1 : 1
Wieder geht es um die Frage, welche Rechte stehen einem Betroffenen zur Überprüfung der Richtigkeit eines Bußgeldbescheides zu, wenn vollautomatisierte und Software gestützte Prozesse eingesetzt werden; hier TraffiStar S 350 und PoliScan Speed als standardisierte Messverfahren bei der Geschwindigkeitsüberwachung des Straßenverkehrs.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) legte mit seiner Entscheidung vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 zum Messsystem PoliScan Speed vor.
Im Großen und Ganzen bestätigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes (wir berichteten hierüber bereits) erhobenen Bedenken zur Zulässigkeit der Beweisverwertung der mithilfe dieses Messsystems gewonnenen Messwerte. Das BVerfG sah durch die Zurückhaltung der Rohmessdaten eine Verletzung des wesentlichen Grundsatzes eines Rechtsstaats auf ein faires Verfahren für den Betroffenen verletzt.
Der ehemalige Richter am Oberlandesgericht nunmehr Rechtsanwalt und Blogger Detlef Burhoff meinte, nach dieser Entscheidung die Sektkorken im Saarland knallen gehört zu haben.
Vielleicht entscheidend ist, dass das Messsystem PoliScan Speed die gewonnen Rohmessdaten mittlerweile wieder abspeichert, so dass diese für eine Nachprüfung zur Verfügung stehen. Somit liegen diese der Bußgeldstelle vor. Regelmäßig wurden diese jedoch nur einem Sachverständigen und Gutachter zur Einsicht gewährt und nur, wenn plausible Zweifel an der Richtigkeit der vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung bestanden.
Dementsprechend wurden Beweisanträge auf Beiziehung der Rohmessdaten regelmäßig von den Gerichten abgelehnt. Auch das BVerfG betont, dass es einen Unterschied zwischen einerseits einem Beweis(ermittlungs)antrag und andererseits dem Begehren auf Informationszugang des Betroffen gibt. Das BVerfG nennt dies zum einen „Waffengleichheit“ mit dem Gericht und zum anderen Informationsparität im Verhältnis zur Verwaltungsbehörde. Da regelmäßig auch dem Gericht nicht die Rohmessdaten vorliegen, besteht hier lediglich eine Verletzung der Informationsparität zur Verwaltungsbehörde, welche die Daten zurückhielt.
Regelmäßig stellt sich daher ein erst in der Hauptverhandlung gestellter Antrag auf Zuziehung der Messdaten als verspätet gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) dar.
Dies bestätigte nun auch das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) mit seinem aktuellen Beschluss vom 19.02.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20.
Demnach liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens wegen Nichtgewährung der Einsicht in Messunterlagen nur dann vor, wenn sich der Betroffene im Bußgeldverfahren rechtzeitig, das heißt ohne schuldhaftes Zögern um die begehrten Unterlagen bemüht hat, seine Anstrengungen aber erfolglos geblieben sind.
In dem vorliegenden Bußgeldverfahren wurde dem Betroffenen vorgeworfen im Bereich einer Großbaustelle auf einer Bundesautobahn, wo eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h vorgeschrieben war, nach Toleranzabzug mindestens 47 km/h, mithin 107 km/h, zu schnell gefahren zu sein. Die Zentrale Bußgeldstelle verhängte eine Geldbuße von 195,00 € und ein einmonatiges Fahrverbot. Nach erfolgtem Einspruch des Betroffenen verurteilte das Amtsgericht Oranienburg den Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 390,00 € und einem einmonatigen Fahrverbot. Hiergegen erhob der Betroffene Rechtsbeschwerde. Der Generalstaatsanwalt sah in seiner Stellungnahme wieder lediglich eine fahrlässige Begehung gegeben und beantragte eine Verurteilung zu 320,00 €.
Die mittlerweile erfolgte oben erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konnte dem Betroffenen nach Ansicht des Oberlandesgerichts keinen Zugang zu den Rohmessdaten verschaffen. Das OLG betonte, für einen erfolgreichen Beweisantrag muss der Betroffene konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes vortragen. Die bloße allgemeine und „in‘s Blaue“ hinein getätigte Behauptung, die Messung sei fehlerhaft, das Messgerät habe nicht richtig funktioniert, die Vorgaben der Gebrauchsanweisung seien nicht eingehalten oder es seien nachträglich Eingriffe an dem Gerät vorgenommen worden, seien nicht geeignet, das Gericht zur weiteren Aufklärung zu veranlassen.
Um den Betroffenen jedoch in die Lage zu versetzen, konkrete Einwendungen gegen ein standardisiertes Messverfahren vorzubringen, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren, dass der Betroffene auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht hat, Kenntnis von solchen Unterlagen zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung der konkreten Ordnungswidrigkeit entstanden, aber nicht zur Verfahrensakte genommen worden sind
Dieser Antrag hätte rechtzeitig erfolgen müssen. Im vorliegenden Fall stellte der Betroffene diesen erstmals in der Hauptverhandlung.
Entgegen der Auffassung des Generalstaatsanwalts sah das OLG auch eine vorsätzliche Begehungsweise gegeben. Die Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgte in einem Bereich in dem die Erkennbarkeit der Gefahrensituation, bei der bestehenden Baustelle („Großbaustelle“, „dreispuriger Ausbau“), das Führen des gesamten Verkehrs („sämtlicher Verkehr“) auf einer Fahrbahnseite (Abgrenzung durch „Betonelemente“), die besondere Länge der Baustelle, wiederholt aufgestellte Verkehrsschilder mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h, unproblematisch für jeden Kraftfahrer vorlag.
Das Urteil des Amtsgericht Oranienburg hat bestand. Dies hat nun zur Folge, dass der Betroffene am Ende wesentlich schlechter gestellt ist, also er es ursprünglich gewesen wäre.
Es zeigt sich anhand dieses Falles, wie wichtig eine fachlich versierte Prüfung der Erfolgsaussichten gegen einen Bußgeldbescheid vorzugehen schon im Rahmen des Bußgeldverfahrens vor einer gerichtlichen Befassung ist. Wir helfen Ihnen gerne.
Eine bundesgerichtliche Entscheidung zum Messgerät Traffi Star S 350 steht noch aus. Wie wir bereits berichteten, stellt sich die Ausgangslage hierbei anders dar, weil dieses Gerät die Messdaten erst gar nicht speichert. Die Messdaten werden vielmehr direkt nach der Messung wieder gelöscht.
Noch vor der oben erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hatte sich das OLG Brandenburg mit seinem Beschluss vom 27.01.2020 – (1Z) 53 Ss/OWi 13/20 (13/20) mit dieser aktuellen Problematik befasst. Rohmessdaten bräuchte es demnach (normalerweise) nicht.
Das OLG sah kein Problem darin, dass sich die Geschwindigkeitsmessung mangels Vorliegen der Messdaten nicht nachvollziehen und überprüfen lässt, da es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt.
Bei solchen standardisierten Messverfahren gelten herabgesetzte Anforderungen an die Darlegung im Urteil und an die gerichtliche Überzeugungsbildung.
„Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass die zur Messungen eingesetzten Messgerätetypen zuvor einer eingehenden Prüfung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) darauf unterzogen werden, ob sie zuverlässige Messergebnisse liefern. Damit wird die Gewährleistung eines richtigen Messergebnisses von der Einzelfallmessung auf das Messgerät selbst vorverlagert: Hält das Messgerät bei dieser Überprüfung unter Berücksichtigung der Verwendungssituationen alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, kann davon ausgegangen werden, dass es dies auch beim Einsatz unter gleichen Bedingungen tut.“
Eine Überprüfung der Messergebnisse Einzellfall müsse generell nicht möglich sein. Einzelne Ausnahmefälle und Fehlmessungen müssten zur Entlastung der Gerichte hingenommen werden.
Das OLG verweist zur Begründung darauf, dass im Strafrecht generell z.B. im Falle eines Sachverständigengutachtens zu einer DNA-Probe es vorkommen kann, dass die Blutprobe im Rahmen der Sachverständigenuntersuchung verbraucht wird. Dies schließe eine Verwertung des gutachterlichen Ergebnisses keinesfalls aus, weil das Gutachten selbst das Beweismittel sei. Genau diese Wertung liege auch der Möglichkeit der Verlesung von Gutachten oder Berichten über die Entnahme von Blutproben gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1, 3 Strafprozeßordnung (StPO) zugrunde.
Auch andere Messmethoden, wie etwa der Gebrauch von Waagen, Längenmessern, Thermometern oder die Bestimmung der Atemalkohol-Konzentration, kennen eher selten bis überhaupt nicht eine Aufzeichnung von Rohmessdaten, ohne dass dies bisher Gerichte oder auch den Gesetzgeber (vgl. etwa § 24a StVG für die Atemalkoholkonzentration) zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gebrachte hätte.
Dem OLG wird man entgegnen können, dass es bei der Auswertung von DNA-Proben durch den jeweiligen Gutachter lediglich zu offensichtlichen Fehlern oder einer bezifferbaren Fehlerquote kommt und dies eher zu Gunsten des Beschuldigten ausfällt. Auch die weiteren vom OLG genannten Fälle, bei denen es zu keiner Speicherung der Messdaten kommt, sind nur bedingt mit den vollautomatisierten und Software gestützten Prozessen modernster Blitzer vergleichbar, weil es sich dabei um erprobte und relativ einfache physikalische/chemische Messungen handelt, die auch in der Regel wiederholt werden können.
In Hinblick auf die aktuelle Entscheidung des BVerfG hieße ein Festhalten an dieser Rechtsprechung des OLG, dass es für die Hersteller keinerlei Sinn macht, Messgeräte zu verkaufen, die die Messdaten speichern und deren Messergebnisse somit eventuell anfechtbar sind.
Technisch sollte es aber keinerlei Problem darstellen, dass die Geräte die Messdaten speichern, wie das Beispiel des Messgeräts PoliScan zeigt, wo zu erst keine Daten gespeichert wurden und dann nach einem Software-Update nunmehr die Daten zur Verfügung stehen.