Bewusst einseitig negativ verzerrende Darstellungen auf Wikipedia können schnell sehr teuer werden

Die Wikipedia wurde am 15. Januar 2001 gegründet und stellt ein vielen Menschen bekanntes gemeinnütziges Projekt zur Erstellung einer freien Internet-Enzyklopädie dar. Im Januar 2021 lag Wikipedia auf dem dreizehnten Platz der weltweit am häufigsten besuchten Websites. In Deutschland sogar auf Platz sieben

Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hat jemanden wegen der bewusst einseitig negativ verzerrenden Bearbeitungen eines Wikipedia-Artikels über jemand anderen zur Zahlung von 8.000 Euro Schmerzensgeld und rund 2.085 Euro Schadensersatz für hiermit im Zusammenhang stehende Abmahnungen verurteilt.

Was war passiert?

Der Kläger nahm den Beklagten unter anderem auf Zahlung von Schadensersatz wegen der negativen Bearbeitung des Wikipedia-Artikels des Klägers in Anspruch.

Der Kläger ist unter anderem Komponist und politischer Autor.

Der Beklagte verfasst seit Jahren regelmäßig unter einem Pseudonym Beiträge in der Wikipedia. Gegen ihn liefen bzw. laufen aufgrund von entsprechenden Wikipedia-Einträgen in Bezug auf andere Personen weitere zivilrechtliche Verfahren an den Landgerichten Hamburg und München. 

In einem ausführlichen Urteil des Landgerichts Hamburg aus Februar 2019 wurde bezüglich des Beklagten beispielsweise festgehalten, dass er „zumindest hinsichtlich einiger der von ihm editierten Artikel in der Wikipedia den Maßstab der Objektivität in relevanter Weise verlassen und Beiträge zu einzelnen Personen mit kritischen Passagen in erheblicher, das öffentliche Interesse steigernder Weise beeinflusst“ habe. Ein solches Verhalten sei „im Grundsatz geeignet, die der Wikipedia von Seiten der Öffentlichkeit zugeschriebene Objektivität und Unabhängigkeit, mit der die Inanspruchnahme erheblichen Vertrauens auf die Korrektheit der zumindest hinsichtlich einiger der von ihm editierten Artikel in der Wikipedia den Maßstab der Objektivität in relevanter Weise verlassen und Beiträge zu einzelnen Personen mit kritischen Passagen in erheblicher, das öffentliche Interesse steigernder Weise“ zu beeinflussen.

Der Beklagte ist unter seinem Pseudonym auch der maßgebliche Editor und Sichter des Wikipedia-Artikels des Klägers. Dieser Wikipedia-Artikel erscheint an erster Stelle, wenn der Name des Klägers bei der Suchmaschine Google eingegeben wird. In der Absicht dem Beklagten zu schaden verfasste der Beklagte innerhalb dieses Artikels diverse Einträge.

So änderte der Beklagte beispielsweise eine Passage so, dass der Eindruck beim Leser entstehen konnte, dass der Kläger das Komponieren konzertanter Musik endgültig aufgegeben habe und sich nunmehr Übungsstücken für Kinder widme. Tatsächlich komponierte oder veröffentlichte der Kläger weder Übungsstücke für Kinder, noch gab er das Komponieren von konzertanter Musik auf.

Außerdem schrieb der Beklagte sinngemäß auf Wikipedia, dass der Kläger ein Werk für das Musiktheater geschaffen habe, das jedoch nie aufgeführt worden sei. Tatsächlich wurde das Werk jedoch bereits im Januar 1975 aufgeführt. 

Ferner brachte der Beklagte den Kläger im Rahmen eines vom isländischen Roten Kreuz geförderten Projektes in Verbindung mit Saddam Hussein. Tatsächlich spielte für die vom Kläger geförderten Arbeiten die Person Saddam Hussein keine Rolle. Das Landgericht hielt fest, dass der Beklagte hierbei in der Absicht handelte, durch diese Assoziation dem wissenschaftlichen Ruf des Klägers zu schädigen.

Darüber hinaus hielt der Beklagte dem Kläger in dessen Wikipedia-Eintrag vor, dass er die offiziellen Ermittlungsergebnisse über Terroranschläge am 11. September 2001 bestritten würde und stattdessen die von anderen „Verschwörungstheoretikern“ zum 11. September 2001 verbreitete „False-Flag-These“ propagiere. Tatsächlich äußerte sich der Kläger zwar unter anderem kritisch in zwei veröffentlichten Büchern zu den von ihm als „quasi-offiziell“ bezeichnete „allgemein bekannte Darstellung der Ereignisse um die Terroranschläge vom 11. September 2001“. Er verbreitet jedoch keine „False-Flag-Thesen“ von „Verschwörungstheoretikern“.

Der Beklagte verfasste zudem einen Eintrag, der den Kläger als Referent in die geistige Nähe von Rechtskonservativen rückte. Tatsächlich war der Kläger lediglich Gast auf einem kontrovers besetzten „Panel“ und nicht Referent. 

Interne Wikipedia Richtlinien

Wikipedia selbst gibt hinsichtlich der Erstellung und Bearbeitung von Artikeln in Bezug auf lebende Personen strikte Richtlinien vor. So wird unter anderem ein neutraler, faktenorientierter und zurückhaltender Schreibstil vorgeschrieben. Außerdem soll besonderer Wert auf verlässliche Belege gelegt werden. Zudem wird betont, dass es nicht um Veröffentlichungen um jeden Preis gehen soll. Ferner soll bedacht werden, dass Wikipedia-Autoren reale Auswirkungen auf lebende Menschen haben können.

Auswirkungen auf das Leben des Klägers

Der Kläger erlitt durch die Einträge und Bearbeitungen des Beklagten schwerwiegende Nachteile in seinem geschäftlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen und persönlichen Ansehen. Aufgrund des Wikipedia-Artikels kam es unter anderem zu Absagen von Anwälten, Bibliotheken und Unternehmen. Dem ist der Beklagte soweit ersichtlich auch nicht (ausreichend) entgegengetreten. 

Vorgerichtliche Tätigkeiten

Als dem Kläger die Identität des Beklagten bekannt geworden ist, erstattete er Strafanzeige und ließ den Beklagten mit Schreiben seines Bevollmächtigten im Februar 2020 und März 2020 abmahnen, wobei er ihn zugleich zum Ausgleich außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten aufforderte. Der Beklagte gab durch seinen Prozessbevollmächtigten im April 2020 eine modifizierte Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, verweigerte jedoch den Ausgleich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Wesentliche Argumentation des Klägers

Der Kläger sah in der Vielzahl der Unterstellungen und Schmähungen des Beklagten eine schwerwiegende Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Beklagte habe sich die Diskreditierung von Personen mit anderer politischer Einstellung zur Nahost-Frage zur politisch-religiösen Lebensaufgabe gemacht und betreibe ihm gegenüber Rufmord.

Entscheidung des Landgerichts

Die Klage war erfolgreich. Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz verurteilte den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 8.000,00 Euro sowie zur Zahlung von Schadensersatz für die Abmahnungen aus §§ 823 Abs. 1253 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 12 Abs. 1 GG.

Örtliche Zuständigkeit

Zunächst hielt das Landgerichts Koblenz fest, dass es gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig sei. Begehungsort einer deliktischen Handlung sein sowohl der Handlungs-, als auch der Erfolgsort. Eine Zuständigkeit sei wahlweise dort gegeben, wo die Verletzungshandlung begangen wurde, oder dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde. Bei einer behaupteten Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts via Internet-Veröffentlichung sei dabei regelmäßig – wie auch im entschiedenen Fall – der Erfolgsort (auch) am Wohnort des Klägers gegeben.

Schadensersatz/Schmerzensgeld bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Nach ständiger durch das Bundesverfassungsgericht bestätigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe jemanden, dessen Persönlichkeitsrecht in schwerer Weise schuldhaft verletzt worden sei, ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch zu, sofern die Schwere der Beeinträchtigung eine solche Genugtuung erfordere und sich die erlittene Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgleichen ließe. Hierbei käme es immer auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Dabei sein besonders der Grad des Verschuldens und die Art und Schwere der zugefügten Beeinträchtigung sowie auch Anlass und Beweggrund des Handelns zu berücksichtigen.

Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz kam zu dem Ergebnis, dass diese vorlagen. Es hielt zunächst fest, dass die beanstandeten Erstellungen und Bearbeitungen des streitgegenständlichen Wikipedia-Artikels eine objektiv schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers darstellen.

Rechtswidrigkeit des Eingriffs 

Bei der Frage der Rechtswidrigkeit des Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts müsse dies durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden. 

Bei dieser Abwägung standen sich die Grundrechte des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens aus Art. 1 Abs. 12 Abs. 1 GGArt. 8 Abs. 1 EMRK den in Art. 5 Abs. 1 GGArt. 10 EMRK verankerten Rechten des Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit gegenüber. 

Diese Abwägung führte zu einem Überwiegen des Schutzinteresses des Klägers, weshalb der Eingriff sich als rechtswidrig erwies.

Was darf bei Wikipedia veröffentlicht werden

Grundsätzlich sei ein Eintrag in Wikipedia jedenfalls dann hinzunehmen, wenn die betroffene Person – wie der Kläger – als Autor von Büchern und Artikeln selbst aktiv den Diskurs in der Öffentlichkeit suche. Hierbei könne außerdem hinzunehmen sein, dass Tatsachen und Meinungen von Kritikern erwähnt werden, die den Betroffenen in ein negatives Licht stellen. Insbesondere verleihe das Persönlichkeitsrecht seinem Träger keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist.

Bezüglich Veröffentlichungen in Wikipedia sei zusätzlich stets deren erhebliche Reichweite und besondere Bedeutung zu berücksichtigen. Als eine der meistbesuchten Webseiten weltweit könnten entsprechende Einträge die Wahrnehmung einer Person in der Öffentlichkeit nachhaltig prägen. Obendrein beanspruche Wikipedia als Enzyklopädie eine möglichst weitgehende Objektivität. Korrespondierend dazu brächten weite Teile der Öffentlichkeit Wikipedia ein entsprechend großes Vertrauen entgegen.

Auch wenn es grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls sei, die sich einer schematischen Betrachtungsweise entziehe, sein jedenfalls unwahre Tatsachenbehauptungen nicht hinzunehmen. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts würde zudem auch dann regelmäßig überwiegen, wenn eine bewusst einseitige und negativ verzerrende Darstellung erfolge, die eine innere Logik und Nachvollziehbarkeit nicht erkennen ließe.

Abwägung des Landgerichts

Unter Zugrundelegung der dargestellten Kriterien kam die 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz zu dem Ergebnis, dass die beanstandeten Einträge des Beklagten sich als eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers erweisen würden. Hierbei setzte sich das Landgericht ausführlich mit den Einzelnen geltend gemachten Punkten auseinander. Im Ergebnis genüge es, dass die entsprechenden Einträge in ihrer Gesamtheit das Persönlichkeitsrecht des Klägers schwerwiegend verletzen würden. 

Der Beklagte habe zum einen mittels der Behauptung unwahrer Tatsachen, zum anderen mittels tendenziöser und einseitig negativer Darstellung dem Artikel des Klägers in Wikipedia ein ausgesprochen negatives Gesamtgepräge gegeben. Die vom Kläger insoweit geschilderten schwerwiegenden Nachteile in seinem geschäftlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen und persönlichen Ansehen sein vom Beklagten nicht bestritten worden und aufgrund der allgemein bekannten großen Reichweite von Wikipedia ohne weiteres nachvollziehbar.

Vorsatz und Schuld

Der Beklagte handelte nach Ansicht des Landgerichts auch vorsätzlich und schuldhaft. Zu einem war von einem vorsätzlichen Handeln prozessual schon deshalb auszugehen, weil der Beklagte dem entsprechenden Vorwurf des Klägers nicht entgegen getreten sei.  Zu anderen waren die Behauptungen des Klägers aber auch nachvollziehbar, da sich das Vorgehen des Beklagten  mit dessen Vorgehen bezüglich anderer Personen decke. 

Schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung

Die in Folge der Bearbeitungen des streitgegenständlichen Wikipedia-Artikels gegebene Persönlichkeitsverletzung des Klägers sei besonders schwerwiegend. Die hierdurch verursachten Einbußen des Klägers des Klägers könnten nicht auf andere Weise, als durch Zahlung einer Geldentschädigung ausgeglichen werden.

Wann eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorläge, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordere, hänge insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs ab, also von Ausmaß und Intensität der Ausstrahlung, von der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten sowie dem Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie dem Grad seines Verschuldens ab. Die Funktion der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen sei die Genugtuung des Verletzten sowie der Prävention zur Verhinderung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe sei von einer schwerwiegenden, die Zahlung einer Geldentschädigung erfordernden Verletzung des Persönlichkeitsrechts auszugehen. Sowohl aufgrund der Genugtuungsfunktion, als auch aufgrund der Präventionsfunktion erweise sich eine Geldentschädigung vorliegend als erforderlich. 

Nach Auffassung der Kammer sei ein Betrag in Höhe von 8.000,00 Euro gerechtfertigt. Bei einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts komme dem Präventionsgedanken besondere Bedeutung zu. Die Sanktionierung dürfe sich nicht im mehr oder minder symbolischen Bereich bewegen. Die Entschädigung müsse so hoch ausfallen, dass sie von den Verantwortlichen deutlich zur Kenntnis genommen werde.

Schadensersatz für die Abmahnungen

Der Kläger konnte unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes auch Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von rund 2.085 Euro bezüglich der erfolgten Abmahnung verlangen. 

Fazit:

Das Urteil des Landgerichts Koblenz entspricht der ständigen Rechtsprechung  des Bundesgerichtshof, wonach schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung grundsätzlich zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen können, sofern die Schwere der Beeinträchtigung eine solche Genugtuung erfordert und sich die erlittene Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgleichen lassen. 

Die Entscheidung ist (wohl) bisher (noch) nicht rechtskräftig. Es bleibt somit abzuwarten wie möglicherweise das Oberlandesgericht Koblenz und eventuell der Bundesgerichtshof den Fall würdigen werden. Aufgrund der grundsätzlich die nächsten zivilgerichtlichen Instanzen bindenden tatsächlichen Feststellungen ist nicht von einer Entscheidung zu Gunsten des Beklagten auszugehen. Was die Höhe des Schmerzensgeldes angeht könnte dies jedoch anders aussehen. Soweit dies ersichtlich ist, ist das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz der erste Fall, in dem einem Geschädigten wegen eines Wikipedia-Eintrags eine Geldentschädigung zugesprochen wurde. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass möglicherweise die weiteren Instanzen in diesem Verfahren oder andere Gerichte in vergleichbaren Fälle anders urteilen werden.

Das Ergebnis eines etwaigen Strafverfahrens ist (bisher) nicht bekannt. Allerdings drohen dem Beklagten auch diesbezüglich empfindliche Strafen.

Aufgrund der erheblichen Konsequenzen im Falle von unzutreffender Darstellungen im Internet – beispielsweise auf Wikipedia – sollten sich Betroffene zeitnah von einem spezialisierten Rechtsanwalt beraten und erforderlichenfalls vertreten lassen, um die ihnen zustehenden Rechte geltend zu machen.

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