Einzelhändlerin wehrt sich erfolgreich gegen Corona-Regel der Freien und Hansestadt Hamburg – zumindest vorübergehend

In einem Eilverfahren hat die 3. Kammer Verwaltungsgerichts Hamburg mit Beschluss vom 21. April 2020 – 3 E 1675/20 – festgestellt, dass eine Einzelhändlerin ihr Geschäft in Hamburg betreiben darf, ohne ihre Verkaufsfläche gemäß der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung minimieren zu müssen. Dies jedoch nur vorübergehend, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache. Laut diversen Medienberichten – www.arte.tv ; www.deutschlandfunk.de – hat die Freie und Hansestadt Hamburg bereits Beschwerde gegen die Entscheidung vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht eingelegt.

Update: Gemäß seiner aktuellen Pressemitteilung hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg bereits eine Zwischenverfügung erlassen. Demzufolge darf die Antragstellerin vorerst ihr Einzelhandelsgeschäft – befristet bis zum 30. April 2020 – nur mit einer maximalen Verkaufsfläche von 800 m2 betreiben. Dies sei zur Vermeidung schwerer und unabwendbarer Nachteile geboten. Die Erfolgsaussichten der Beschwerde sein jedoch offen. Mit einer abschließenden Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sei in der kommenden Woche zu rechnen.

Update: Mit Beschluss vom 30. April 2020 – 5 Bs 64/20 – hat der 5. Senat des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichtes beschlossen, dass die Antragstellerin ihr Einzelhandelsgeschäft gegenwärtig nur mit einer maximalen Verkaufsfläche von 800 m2 betreiben darf. Eine Darstellung unsererseits finden sie hier.

Was war passiert?

Eine Einzelhändlerin wollte ihr Geschäft, dessen Verkaufsfläche erheblich größer als 800 m2 ist, trotz des entsprechenden Verbotes in der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung vollständig öffnen und zog deshalb vor das Verwaltungsgerichts Hamburg. Dies gab ihr vorläufig Recht.  Ob und wie lange sie ihr Geschäft tatsächlich vollständig öffnen darf hängt von der Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ab. Außerdem wirkt die Entscheidung nur zwischen den Verfahrensbeteiligten. Somit darf nur die Antragstellerin ihr Geschäft vollständig öffnen. Andere Hamburger Einzelhändler, deren  Verkaufsfläche größer als 800 m2 ist, dürfen nach wie vor derzeit keine größe Verkaufsfläche als 800 m2 nutzen.

Wesentliche Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts Hamburg

Zunächst hielt das Verwaltungsgericht Hamburg fest, dass die Antragstellerin sich nicht auf das in § 47 VwGO geregelte Normenkontrollverfahren, in welchem abstrakt die Gültigkeit einer Rechtsnorm oder einer abstrakten Rechtslage geklärt werden kann, verweisen lassen musste. Vielmehr hätte die Antragstellerin persönlich ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Klärung, ob ihr der Betrieb ihres Einzelhandelsgeschäfts im ursprünglich baurechtlich genehmigten Umfang mit der vollen Verkaufsfläche rechtmäßig möglich ist. Das in § 47 VwGO geregelte Normenkontrollverfahren hätte der Antragstellerin jedoch auch nicht geholfen, weil die Freie und Hansestadt Hamburg von der durch § 47 Absatz 1 Nummer 2 VwGO eröffneten Möglichkeit (bewusst) keinen Gebrauch gemacht hat. Somit war die von der Antragstellerin gewählte Verfahrensart die einzige die ihr zur Verfügung stand. Auch deshalb, weil sie ansonsten keinen Rechtsschutz gegen die sie betreffende Maßnahme gehabt hätte, war die von ihr gewählte Verfahrensart statthaft. 

einstweilige Anordnung

Gemäß § 123 Absatz 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag u.a. eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, sofern diese Regelung nötig erscheint um wesentliche Nachteile abzuwenden. Notwendig hierfür sind ein Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit der Sache, sowie ein Anordnungsanspruch, also ein Anspruch in Bezug auf die begehrte Maßnahme. 

Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache

Ferner ist zu beachten, dass im Eilrechtsschutz grundsätzlich ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt. Dem Antragsteller soll generell nicht bereits das gewährt werden, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann. Dies gilt jedoch dann vor dem Hintergrund der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht, wenn für den Antragsteller ein Warten unzumutbar wäre, die Hauptsachentscheidung zu spät käme und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.

Gemessen an diesen Kriterien hatte die Antragstellerin einen Anspruch auf die tenorierte Feststellung glaubhaft gemacht. Sie muss zumindest vorläufig der auf der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung beruhenden Untersagung des Betriebs ihres Einzelhandelsgeschäfts, soweit seine Verkaufsfläche 800 m2 überschreitet, nicht Folge leisten. Das Verwaltungsgericht hielt aber auch fest, dass sie dies nicht von der Verpflichtung entbindet, den in der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung geregelten technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Reduzierung des Infektionsrisikos nachzukommen.

Anordnungsanspruch

Der Anordnungsanspruch ergab sich aus der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Absatz 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Absatz 3 GG sowie einfachgesetzlich konkretisiert durch die Gewerbefreiheit des § 1 Absatz 1 GewO

Berufsausübungsfreiheit

Das Verwaltungsgericht Hamburg kam zu dem Ergebnis, dass die Untersagung des Betriebs von Verkaufsstellen des Einzelhandels, die 800 m2 Verkaufsfläche überschreiten, einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsausübung darstellt. Gemäß Art. 12 Absatz 1 Satz 2 GG darf in das Grundrecht der Berufsfreiheit nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Im Rahmen der hierbei vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die Stufenlehre zu beachten. Hiernach ist danach zu differenzieren, auf welcher Stufe der Berufsfreiheit die Regelung ansetzt. Sofern wie im vorliegenden Fall reine Berufsausübungsbeschränkungen einschlägig sind,  können Eingriffe prinzipiell durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls erlaubt sein. Andererseits müssen sowohl der Eingriffszweck, als auch die Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen. Hierbei sind auch die Ermessenserwägungen der Behörde zu überprüfen.

Ermessensüberschreitung

Im Ergebnis hielt das Verwaltungsgericht Hamburg fest, dass eine Ermessensüberschreitung  in Bezug auf die getroffene Unterscheidung zwischen Verkaufsstellen des Einzelhandels mit einer Verkaufsfläche von bis 800 mund größeren Verkaufsstellen, die lediglich bis zu dieser Größe öffnen dürfen, gegeben sei. Die getroffene Differenzierung stelle eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit dar, weil sie nicht geeignet und erforderlich sei, um die mit ihr verfolgten Ziele umzusetzen.

Geeignetheit

Es sei nicht ersichtlich, dass diese Maßnahme geeignet sei, dem Zweck des Infektionsschutzes zu dienen. Die Freie und Hansestadt Hamburg gehe davon aus, dass von großflächigen Einzelhandelsbetriebe eine hohe Anziehungskraft ausgehen würde, mit der Folge, dass die Straßen und die Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs stark besucht würden und deshalb die Gefahr der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus steigen würden. Diese Einschätzung sei beurteilungsfehlerhaft. Die Unterscheidung (allein) nach der Verkaufsfläche sei nach den Erkenntnissen des Eilverfahrens schon nicht geeignet, den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen. Sie sei auch insbesondere nicht unmittelbar infektionsschutzrechtlich begründet. 

Es sei nicht erkennbar, dass die beschriebene Anziehungskraft ausschließlich oder zumindest im besonderen Maße vom großflächigen Einzelhandel ausgehen würde. Hierfür sei die Größe der Verkaufsfläche alleine kein geeignetes Kriterium. Die beschriebene Sogwirkung folge vielmehr aus der Attraktivität des Warenangebots. Die befürchtete Infektionsgefahr, die von Menschen ausgeht, die sich im öffentlichen Raum bewegen und dort aufhalten, entstehe im gleichen Maß, wenn die Anziehungskraft von attraktiven und nah beieinanderliegenden „kleinen“ Geschäften ausgehe, wie sie vielfach in der Hamburger Innenstadt sind. Eine messbare Erhöhung dieser Gefahren durch die zusätzliche Öffnung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben sei nicht ersichtlich.

Erforderlichkeit

Außerdem sei die Unterscheidung anhand der Verkaufsfläche nicht erforderlich, um den mit ihr verfolgten Zweck der Steuerung der Fußgängerdichte in der Innenstadt zur Minimierung der Gefahr von Ansteckungen mit dem SARS-CoV-2-Virus zu erreichen.

mildestes Mittel

Um die Infektionsgefahr zu minimieren sein mildere Mittel vorhanden. Insbesondere der  einzuhaltenden Mindestabstands von 1,5 m sei durch den Fußgängerverkehr regelnde Maßnahmen zu erreichen. Die Einhaltung des Mindestabstands könne überwacht und Verstöße als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Außerdem könnten weitere Schutzanordnungen, wie beispielshalber die Einführung einer Mund- und Nasenbedeckungspflicht im öffentlichen Raum erlassen werden.

Gleichheitssatz

Darüber hinaus stellte das Verwaltungsgericht Hamburg auch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Absatz 1 GG aufgrund der vorherigen Überlegungen fest. Auch im Rahmen des Gleichheitssatzes gelte, dass die Größe der Verkaufsfläche kein geeignetes Differenzierungskriterium zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung darstelle.

Anordnungsgrund

Es bestehe ein Anordnungsgrund, weil sich die Untersagung im Hauptsacheverfahren mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen würde. Außerdem drohten schwere und unzumutbare wirtschaftliche Nachteile für die Antragstellerin, wenn sie ihr Geschäft nur auf einer reduzierten Verkaufsfläche von 800 m2 wiedereröffnen dürfe.

Verfahrenskosten

Schließlich beschloss das Verwaltungsgericht Hamburg, dass die Kosten des Verfahrens die Antragsgegnerin zu tragen hat, § 154 Absatz 1 VwGO.

Fazit

Es bleibt spannend, wie der Fall vom Hamburgischen Oberverwaltungsgericht entschieden werden wird. Auch ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, bei der die Besonderheiten der Hamburger Innenstadt zu berücksichtigen waren/sind. Schließlich zeigt der dargestellte Fall aber auch erneut, dass die Grundrechte weiterhin von allen staatlichen Stellen zu berücksichtigen und einzuhalten sind. Sollten Sie davon ausgehen, dass staatliche Maßnahmen Ihre Grundrechte verletzen, ist es ratsam, sich von einem erfahrenen Anwalt beraten und erforderlichenfalls vertreten zu lassen.

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